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Drei Gründe

Drei junge Männer absolvieren erfolgreich ihre Schule, schließen ihre Berufsausbildung ab und wollen dennoch eins: Raus aus der DDR und in den Westen. Fragt man nach den Gründen, erhält man ganz unterschiedliche Antworten.
„Grundlage war, dass ich eigentlich schon immer gegen die russische Besatzungsmacht eingestellt war. Meine Mutter wurde 1945 vergewaltigt, hat sich gewehrt und ist erschossen worden. Ich war schon immer gegen Russen eingestellt.“(1) Bert V. Ist ein 'Revoluzzer'. Er trägt Jeans zu seinem GST (2) -Blouson, macht sich aus der vormilitärischen Ausbildung einen Spaß und auch der politische Unterricht lässt ihn nur noch kritischer werden. „Wir hatten ja auch politischen Unterricht, den dann irgendein Lehrer oder eine Lehrkraft abhalten musste und da kann ich mich noch gut dran entsinnen, da wurde uns von Ivo Robic das Lied 'Morgen' dargebracht, so als ob die Militaristen im Westen, schon wieder die Welt beherrschen wollen. Und mir ist dazu nichts eingefallen (…) Und wenn das schon so dumm gemacht ist, muss ich ehrlich sagen, dann fängt man an, doch darüber nachzudenken und die ganze Sache zu hinterfragen.“(3) Die Einschränkungen im freiheitlichen Denken und die ständige staatliche Bevormundung lassen in ihm den Wunsch aufkommen, in den Westen zu flüchten.

"Mit Deiner gesellschaftlichen Einstellung wirst Du sowieso nicht delegiert!"(4) Diese Worte seines Lehrmeisters lassen Udo P wissen: In der DDR gibt es keine Perspektiven für dich. Als dann im März '62 seine Großeltern sterben und seine Familie an die Ostsee zieht, um das Haus zu übernehmen, bleibt er allein in Ost-Berlin. „Da war schon für mich klar, ich komme nicht mit (…), du gehst, wenn es irgendwie geht. Vor allem wegen des Eingesperrtseins.“(5) Denn auch die Einschränkungen in der Reisefreiheit sind für ihn eine Belastungsprobe. Es fehlt ihm, einfach einmal raus zu kommen, andere Städte und Länder zu sehen und eigene Erfahrungen zu machen. Als selbst kleine Ausflüge nach West-Berlin nicht mehr möglich sind, steht seine Entscheidung fest. „Für mich war einfach klar, ich muss hier weg (…) Vor allem, West-Berlin, das war vorher eine Stadt, da ist man immer ins Kino gegangen, hat einen Wildwestfilm angeguckt, den man eben im Osten nicht anschauen konnte, das war einfach eine deutliche Freiheit, die dann weg war, plötzlich weg war. Für viele kam eine riesige Ernüchterung geradezu erschreckend.“(6) Klar war für ihn auch, dass er Ost-Berlin noch verlassen will, bevor er in die Nationale Volksarmee (NVA) einberufen wird – gemustert war er bereits.

Der Bau der Mauer, der unfreiwillige Eintritt in die FDJ, die Werbeaktion der Volksarmee und letztendlich der Einberufungstermin Ende Juni '62. Es ist immer noch ein Ereignis dazugekommen, das in Michael J. den Wunsch hat wachsen lassen, die DDR verlassen zu wollen. Als ihm nach und nach klar wird, dass er mit seiner gesellschaftlichen Einstellung nach der Ausbildung keinen Studienplatz bekommen wird, weiß er, dass er nicht bleiben kann. „ Das war die Perspektivlosigkeit (...). Mit meiner Einstellung – ich hätte keine vormilitärische Ausbildung mitgemacht, ich hätte keinen Wehrdienst geleistet, ich hätte keine politische Mitarbeit geleistet - wäre ich nicht zum Studium zugelassen worden. Zu der Zeit schon war es fast unmöglich ohne Beziehungen, sag ich mal, und ohne bei der Volksarmee gewesen zu sein, einen Studienplatz zu kriegen. Also blieb für mich, wenn ich dann weiter wollte, nur die andere Seite der Mauer.“

(1) Bert V., Interview vom 13.03.2012
(2) GST: Gesellschaft für Sport und Technik
(3) Bert V., Interview vom 13.03.2012
(4) Udo P., Mail vom 01.09.2012
(5) Udo P., Interview vom 05.06.2012
(6) Udo P., Interview vom 05.06.2012

Quellen

Interview mit BV (13.03.2012)
Interview mit BV, UP und MJ (05.06.2012)
Interview mit BV, UP und MJ (06.06.2012)

Text: Sandra Müller