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Tunnel Heidelberger Str. 35


1963 entsteht im Haus der Heidelberger Straße 35 ein Tunnel. Es ist nicht der erste, der unter der Mauer hindurch im Ostsektor im Haus Heidelberger Straße 75 ankommen soll. Schon ein Jahr zuvor hatten Tunnelbauer unter der Leitung der sehr aktiven Fluchthelfer Harry Seidel und Fritz Wagner eine unterirdische Verbindung zwischen Ost und West gegraben. Mindestens 35 Menschen konnten in den Westen flüchten, bis das Projekt dem MfS bekannt wird. Bei dem Versuch, die beteiligten Tunnelgräber am Tunnelausstieg zu verhaften, kommt es am Abend des 27. März 1962 zu tödlichen Schüssen von Stasi-Leuten auf den 28-Jährigen Fluchthelfer Heinz Jercha, dem ersten Tunneltoten Berlins. Der Tunnel selbst wird von der Ostseite „liquidiert“ und ist damit nicht mehr nutzbar.












Heidelberger Straße zwischen Elsenstraße und Sinsheimer Weg. Beide Tunnel zum gegenüberliegenden Haus Nr. 75 sind markiert, der Mauerverlauf rot eingetragen.
Kartengrundlage: OSM, ergänzt um den damaligen Baubestand in blau.



Im April des folgenden Jahres wird an derselben Stelle ein erneuter Versuch gestartet, unter anderem von Boris Franzke, für den dieser Tunnel der letzte in seiner Karriere als Fluchthelfer ist. Von den Grenzposten unbemerkt finden die Grabungsarbeiten statt, die im erfolgreichen Durchbruch am 8. April enden. Franzke ist dabei der erste, der im Keller auf der Ostseite ankommt und sich den komplizierten Weg in Richtung Innenhof suchen muss. Dabei kommt es zu einer dramatischen Situation, denn während Franzke hinter der Kellertür wartet, kommen zwei patrouillierende NVA-Soldaten über den Hof und auf die Tür zu, hinter der Franzke steht und auf den Hof blickt:

Jeder hat eine Kalaschnikow hinterm Rücken, die kommen genau auf meine Türe zu. […] Aber die letzten Meter, zwei Meter, sind sie dann abgeschwenkt und sind hier rein gelaufen, in den Hausaufgang.“(Interview Boris Franzke)

Der wartenden Franzke und der Tunnel bleiben also unentdeckt und bis zu 20 Menschen kann der Weg in die Freiheit geebnet werden, darunter auch ein sich auf der Westseite in die Arme fallendes Ehepaar, das die Flucht schafft und mit Hoffnung auf ein neues Leben blickt. Auch eine Frau mit Baby, die sich aus Furcht zunächst nicht in den engen Tunnel mit einem Durchmesser von fünfzig mal sechzig Zentimeter traut, ist unter den Flüchtlingen. Um ihr zu helfen nimmt Franzke ihr das Kind ab und kriecht ihr hinterher auf die andere Seite, auf der Mutter und Kind in Sicherheit wiedervereint werden können. Aber einen Tag später fliegt der Tunnel auf, da eine Hausbewohnerin die aufgebrochene Tür im Keller entdeckt und anzeigt. Mit schwerem Gerät legt die Stasi daraufhin den ja jetzt schon zweimal benutzten Tunnel frei und errichtet zusätzlich in der Heidelberger Straße einen Graben, der jede weitere Tunnelgrabungen zwischen Treptow und Neukölln unmöglich macht (Arnold/Kellerhoff (2008), S.92).

Literaturliste
Arnold/Kellerhoff, 2008
weitere Quellen: Interviews mit Boris Franzke vom 2.2.2012 und 14.5.2012

Text: Sophie Salmen