Richtung: Von West- nach Ostberlin
Lage: Unter der Kiefholzstraße in Treptow, knapp hinter dem Übergang der S- Bahn
Ausbau: Keine Abstützung, keine Beleuchtung
Fluchthelfer: Zunächst Seidel/Wagner, später die Girrmann-Gruppe und ein Teil der Bernauer-Gruppe des Tunnels 29.
Die Kiefholzstraße an der Grenze zwischen Neukölln und Treptow. Der Mauerverlauf ist rot markiert, ebenso das Haus der Familie Sendler. Der Startpunkt des Tunnels lag auf dem Dreieck zwischen Gleisgelände und Kiefholzstraße.
OSM-Karte, verändert nach alten Plänen
Im Juni 1962 beschließen die Tunnelbauer Harry Seidel und Fritz Wagner, dass ihr erster Tunnelversuch in der Kiefholzstraße eine zweite Chance verdient. Bereits im Januar 1962 versuchten sie hier ihr Glück, mussten dann aber wegen der zu tief angesetzten Grabung und des hohen Grundwasserspiegels (1,90m unter der Erdoberfläche) vorläufig aufgeben. Der Tunnel soll vom ehemaligen „Kleinbunker der Deutschen Wehrmacht“ aus unter der Grenze hindurch in dem Häuschen des Tischlerehepaars Sendler, Kiefholzstraße 388, enden. Insgesamt über 60 Meter Tunnelstrecke. Ein Kurier
stellt erfolgreichen Kontakt zu den Sendlers her, die als erste durch den Tunnel flüchten wollen. Die Grabungsarbeiten beginnen. Nach zwei Wochen sind die Tunnelgräber schon am Gartengrundstück angelangt. Trotzdem entscheiden sie sich, die Arbeiten vorläufig einzustellen. Nach dem erfolgreichen „Pfingsttunnel“ in der Heidelbergerstraße 28 haben sie selbst kaum noch Fluchtwillige, außerdem riecht es im Tunnel nach Gas und Harry Seidel, erfolgreicher Radsportler, will sich erstmal auf anstehende Turniere vorbereiten (dieser Absatz vgl. Veigel 2011: 251-252).
Laut Veigel will der Westberliner Verfassungsschutz das Potenzial des Tunnels nicht „versanden“ lassen und stellt den Kontakt zur studentischen Girrmann-Gruppe her. (vgl. Veigel 2011: 252)
Diese wiederum holen sich Hilfe bei der Bernauer-Gruppe. Ab Ende Juli 1962 sind dann mehrere Fluchthelfergruppen an dem „Kiefholzstraßentunnel“ beteiligt:
1. Die Seidel/Wagner-Gruppe.
2. Die Girmann-Gruppe, die selbst gerade dringend nach einem neuen Fluchtweg sucht.
3. Ein Teil der Bernauer-Gruppe, die gerade an ihrem Tunnel in der Bernauerstraße (Tunnel 29) wegen eines nur langsam abtrocknenden Wassereinbruchs nicht weiterarbeiten kann. (Darunter u.a. Wolfhardt Schroedter, die Italiener Domenico Sesta (Mimmo) und Luigi Spina (Gigi), Joachim Rudolph, Joachim Neumann, Hasso Herschel und Manfred Krebs). (vgl. Veigel 2011: 253)
Die Tunnelgrabung wird am 27. Juli 1962 durch Wolfhardt Schroedter, Joachim Rudolph und Manfred Krebs wieder aufgenommen. Täglich werden 4-5 Stunden unterirdisch gegraben. Die Frischluft ist knapp. Es gibt keine Belüftung, keine Beleuchtung und der Tunnel ist nicht abgestützt. Joachim Rudolph erinnert sich:
„Man musste an vielen Stellen flach auf dem Boden liegen, da durchrobben und vorne angekommen war die Luft so schlecht, dass man da sehr schnell Kopfschmerzen bekam. Also in diesem Tunnel hatte ich wirklich das erste Mal Angst da wirklich rein zu kriechen.“ (J. Rudolph im Interview)
Die Grabungsrichtung überprüfen sie mit Hilfe einer Baustahlstange, die langsam durch die Erdoberfläche gedrückt und vom Westen aus mit einem Fernglas beobachtet wird:
„Wir haben tatsächlich den Stab gesehen und (…) konnten damit die Richtung korrigieren, wir mussten da noch so einen Linksknick einarbeiten, um das Haus zu erreichen“(J. Rudolph im Interview)
Die Tunnelgrabungen verlaufen schneller als die Organisation der Flüchtlinge. So verschiebt sich der Termin des Durchbruchs mehrmals. Der Erstkontakt mit dem Ehepaar Sendler ist inzwischen schon eine Weile her. Seitdem hat niemand mehr mit ihnen gesprochen und keine_r weiß, ob sie noch zu der Aktion stehen. (vgl. Veigel 2011: 254)
Die Organisation der Flüchtlinge
Mit wachsender Anzahl der Fluchthelfergruppen wächst auch die Zahl der Flüchtlinge. Man entscheidet sich für eine Massenflucht. (Laut eines MfS Dokumentes sei die von der Girrmann-Gruppe schon seit Mai geplant gewesen, allerdings noch ohne geeigneten Fluchtweg. (vgl. AIM 13337/64 (10522/61) Bd. 1, S.154))
Die ca. 80 Flüchtlinge sollen an drei verschiedenen Punkten in Ost-Berlin in LKWs steigen, die sie dann an Ort und Stelle bringen. Zusätzlich gibt es kleine Fußgänger_innen – Gruppen, die als erste durch den Tunnel flüchten sollen.
Um alle Flüchtlinge zu informieren, werden viele Kuriere gebraucht. Einer der Kuriere ist Siegfried Uhse. Als
Geheimer Mitarbeiter des Ministeriums für Staatsicherheit informiert er aber nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Stasi über alle geplanten Abläufe.
Siegfried Uhse
Siegfried Uhse verpflichtet sich am 30. September 1961 beim Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Im März 1962 findet er Anschluss an die Girrmann-Gruppe. Unter dem Vorwand seine Freundin und deren Mutter in den Westen holen zu wollen, nimmt er Kontakt zur Girrmann-Gruppe auf und arbeitet fortan als Kurier. (vgl. Veigel 2011: 284-289) Seit dem 8.Juli 1962 ist er in die Pläne des „Kiefholzstraßentunnels“ eingeweiht, nimmt an den entscheidenden Besprechungen teil und hält die Stasi auf dem Laufenden. (vgl. Arnold/Kellerhof 2011: 81) Seine Spitzeltätigkeit wird erst Jahrzehnte später, nach der Wiedervereinigung, öffentlich.
Der Tag des Durchbruchs: 07 August 1962
Morgens, 8:30 Uhr: Letztes Treffen vor dem Durchbruch in Moabit, Berlichingenstraße 12. Auch der Spitzel Siegfried Uhse ist anwesend. Noch am selben Tag, zwischen 16-17 Uhr, sollen Hasso Herschel, Ulrich Pfeifer und Joachim Rudolph in das Wohnzimmer der Sendler’s durchbrechen. Die letzten, wichtigen Erkennungszeichen werden verabredet. (vgl. Veigel 2011: 258f) An zwei Stellen auf dem Weg zur Tischlerei werden Fluchthelfer stehen, die den Fußläufigen Signale geben:
Haare kämmen = freie Fahrt
Nase putzen = 10 Minuten später wiederkommen
Binden der Schnürsenkel = Ort sofort verlassen! Gefahr!
(Veigel 2011: 259)
Die Kuriere machen sich auf den Weg. Der Kurier Gengelbach versucht nochmal Kontakt zu den Sendlers aufzunehmen - ohne Erfolg.
Mimmo soll über „Horst“, der auf dem Großmarkt in Ostberlin arbeitet, einen LKW mit Plane organisieren. Er kann aber nur einen guten Bekannten von „Horst“ treffen. Dieser organisiert kurzfristig den LKW und darf dafür zusammen mit seiner Familie mit flüchten. Mimmo schärft ihm noch ein paar Vorsichtmaßnahmen ein. (vgl. Sesta 2001: 100-105)
Die Flüchtlinge steigen an verschiedenen Stellen in die jeweiligen LKWs ein:
in einer Allee in Friedrichshain, (vgl. Ebd: 104)
an zwei Treffpunkten in Lichtenberg, (vgl. Veigel 2011: 258)
und auf einem Autohof in Grünau. (vgl. Ebd.)
Als Kennwort sollen die Flüchtlinge nach einer unbekannten Straße fragen. Die Antwort des Fahrers muss darauf hin sein, dass „die hier irgendwo in der Nähe ist“. Zusätzlich ist als Erkennungszeichen ein weißer Papierstreifen in die Windschutzscheibe der LKWs geklebt. (vgl. Ebd.: 258f)
Siegfried Uhse trifft sich derweil mit den Kurieren Wolfdieter Sternheimer und Hartmut Stachowitz, um sie zu instruieren.
„ (…) mit dem habe ich mich (…) getroffen, an der Schönhauser Allee, an dem Tag an dem es losgehen sollte. Da wurden uns die letzten Instruktionen überbracht (…) Das war also der Sternheimer, ich und dieser Uhse. Wir wussten damals nicht, wie der hieß (…)“ (H. Stachowitz im Interview)
Kurz danach informiert Siegfried Uhse auch seinen Stasi-Vorgesetzten Püschmann. (vgl. AIM 13337/64 (10522/61) Bd.1) Die Stasi weiß seitdem über den genauen Ablauf Bescheid, allerdings nicht, wo der Durchbruch genau sein soll. Um das rauszubekommen führt sie eine große Verhöraktion durch. Dies führt wahrscheinlich dazu, dass die Sendlers nicht mehr ansprechbar waren. (vgl. Veigel 2011: 262)
Um 15 Uhr kommen Hasso Herschel, Ulrich Pfeifer und Joachim Rudolph am Westeinstieg des Tunnels an. Auch die Westberliner Polizei zum Schutz der ankommende Flüchtlinge sowie das NBC Team, das die Grabungen am Tunnel 29 dokumentierte, sind informiert und anwesend. Über die genaue Bewaffnung gibt es keine einheitlichen Aussagen. Die Tunnelgräber ganz vorne im Tunnel haben Waffen bei sich:
„Das bei Tunnelbauten normalerweise von Anfang an Schusswaffen im Spiel waren, das war uns natürlich klar (…) Da hatte es ja bereits genügend Tote an der Mauer gegeben. (…) In sofern hatten wir natürlich auch Waffen gehabt.“ Und weiter:
„Das da noch weitere Waffen zum Einsatz hätten kommen können, da bin ich mir relativ sicher. Zum Beispiel von den sogenannten Polizisten (…) und natürlich waren auch Girrmann, Thieme, Köhler da und ich vermute mal, dass die auch ihre Pistolen mit hatten, (…).“ (J. Rudolph im Interview)
Auf der anderen Seite hat sich das Stasi-Aufgebot bereits eingefunden.
Für den Durchbruch werden zunächst 4 Löcher gebohrt, um anschließend ein Rechteck aus dem dicken Holzfußboden zu brechen.
„Das hat einen fürchterlichen Krach gemacht und plötzlich hörten wir da eine Frauenstimme während des Sägens und dann haben wir unterbrochen und die schrie dann: „Macht, dass ihr wegkommt, haut ab, wir wollen nicht flüchten, haut ab, wir wollen mit euch nichts zu tun haben.“ Na ja und Hasso Herschel hat dann versucht mit der noch ein Gespräch zu führen (…): „Ihr könnt da auch durch.“ Dann plötzlich war die Stimme verschwunden. Gut, jetzt haben wir überlegt, was machen wir? Wir wussten ja, dass die Flüchtlinge benachrichtigt sind und wir dachten jetzt, also jetzt (…) egal (…) wir müssen versuchen, da unbedingt in das Haus zu kommen. (J. Rudolph im Interview) Obwohl Frau Sendler die Tunnelbauer bemerkt und abwehren will, arbeiten sie weiter. Um 18:45 ist der Durchbruch vollbracht. Als sie schon alle drei in der Wohnung stehen, bekommen sie über Sprechfunk aus dem Westen die Info, dass sie sofort umdrehen sollen, die Stasi stehe schon auf dem Grundstück.
„(…) ich sah auf jeden Fall, dass einer am Fenster (…) vorbei schlich und (…) dann haben wir uns entschlossen eben doch dem Rufen der anderen nachzugeben (…), haben den Seesack gepackt und sind dann nacheinander wieder in den Tunnel und zurück gekrochen.“ (J. Rudolph im Interview) Die drei Fluchthelfer ziehen sich durch den Tunnel wieder in den Westen zurück. Keine_r der Flüchtlinge kommt am Tunnel an.
Die Stasi beobachtet die Treffpunkte. Zwei der drei LKWs fliegen auf. Die schon zugestiegenen Flüchtlinge in Grünau und Lichtenberg werden verhaftet. Darunter auch Gerda und Hartmut Stachowitz.
„Also nun sind wir da angekommen an dem Stellplatz (…) der LKW stand da, der uns da nun hinfahren sollte und da stiegen die Leute runter, (…) und wir merkten, dass da irgendwas nicht in Ordnung war (…) und dann haben wir gesagt, „Hier ist was faul, da haun wir wieder ab.“ Aber das ging nicht, die hatten uns längst umstellt und uns verhaftet.“ (H. Stachowitz im Interview) „Wir wurden gleich getrennt, ich hatte das Kind auf dem Arm und wurde in so einen EMW (PKW; Abkürzung steht für:„Eisenacher Automobilwerk“)
rein gestoßen. Die fuhren ja immer so schwarze EMWs.“ (G. Stachowitz im Interview)
Der LKW-Fahrer, den Mimmo instruierte, kann mitsamt den Flüchtlingen rechtzeitig entkommen, wohl auch, weil Siegfried Uhse den Einstiegsplatz dieses LKWs nicht kannte. Die ersten beiden Fußgänger_innengruppen, darunter Hasso Herschels Schwester Anita Moeller und Joachim Rudolphs spätere Frau, können sich unerkannt zurückziehen.
„Und als die dann da runterliefen, hatten sie schon das Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt. Da waren etliche Leute in Zivil, die da rumstanden. Diese Schlapphutmafia quasi, die ja dann mehr oder weniger doch erkennbar ist durch ihr Verhalten usw. und die sind dann Gott sei Dank umgedreht. (…) Beide Gruppen haben unabhängig voneinander (…) bemerkt, dass da irgendwas nicht stimmt, sind da rumgeschlendert und sind da möglichst locker wieder umgedreht. Beiden ist nichts passiert. (…).“ (J. Rudolph im Interview und vgl. auch Arnold/Kellerhoff 2011: 82) Andere Fußgänger_innen werden im Bereich Puderstraße festgenommen, darunter auch das Ehepaar Sendler, die aber erfolgreich beteuern von nichts gewusst zu haben und letztendlich freigelassen werden. (vgl. Veigel 2011: 263) Der Kurier Sternheimer wird am selben Abend beim Grenzübergang Heinrich-Heine Straße verhaftet. (vgl. Film „Grenzenlose Liebe und plötzlich war die Mauer da“) Siegfried Uhse gibt noch weitere Namen der Stasi preis. Sie werden festgenommen, sobald genug Zeit verstrichen ist, sodass der Spitzel nicht auffliegt.
Folgen des „Kiefholstraßentunnels“
Insgesamt werden über 70 Menschen im Zusammenhang mit dem „Kiefholzstraßentunnel“ festgenommen. Darunter vier Fluchthelfer aus der Girrmann-Gruppe. (vgl Veigel 2011: 263) Die Fluchthelfer Gengelbach, Stachowitz und Sternheimer, sowie zwei weitere Personen Sterzig und Fink, bekommen noch im gleichen Monat einen „propagandistischen Schauprozess“, in dem vorher genau festgelegt wird, was sie zu sagen haben.
„(…) Und dann kam es ganz schnell zu dem Prozess, also an und für sich haben diese Sachen immer viel länger gedauert, aber die wollten einen Schauprozess haben, weil sie politisches Kapital draus schlagen wollten (…) man wollte mich zu einem Menschenhändler machen (…), der das professionell macht über die Girrmann-Organisation (…) Also es wurde hoch gepuscht, als Auslöser eines dritten Weltkrieges und dann wollte man natürlich, weil es ein Schauprozess war auch entsprechende Strafen verhängen, denn es sollte ja abschreckend sein, ja klar. (H. Stachowitz im Interview) (vgl. auch Vernehmung H. Stachowitz am 30.08.1962 und anschließendes Plädoyer des General Staatsanwaltes). Die Angeklagten werden zu 6-12 Jahren Zuchthaus verurteilt. (vgl. Gieffers 1997: 76) In Folge der „Freikäufe“ durch die BRD werden Hartmut Stachowitz und Wolfdieter Sternheimer 1964 entlassen. Die Stasi verhaftet ca. 80 Bürger_innen der DDR wegen „versuchter Republikflucht“. Auch Gerda Stachowitz wird zu einer mehrjährigen Haft verurteilt, kommt aber nach 15 Monaten auf Bewährung frei. (vgl. Arnold/Kellerhof 2011: 83) Jörg Stachowitz, das Kind, wird in einem Kinderheim untergebracht. Durch den glücklichen Zufall, dass eine Erzieherin die Familie Stachowitz kennt, kam er aber sehr bald zu seinen Großeltern nach Friedrichshagen. (vgl. Interview G. Stachowitz)
Gerda Stachowitz wird noch Jahre später von Albträumen geplagt und jetzt 50 Jahre danach, holt es sie im Alter wieder ein:
„ (…) man hat in Angst gelebt und es war einem gar nicht so bewusst. (…) Und als wir dann im Westen waren, (…) hat es noch drei Jahre gedauert bis ich keine Albträume mehr hatte. Und (…) im Alter holt einen das irgendwie wieder ein. So Ängste, so unbestimmte Ängste, also das bleibt einem nicht in Kleidern hängen, denn man wusste ja man war denen so ausgeliefert, so ohnmächtig.“ (G. Stachowitz im Interview)
Das Ehepaar Sendler wird freigesprochen. Frau Sendler wird in den Westberliner Medien zu Unrecht als die „Verräterin“ diffamiert.
„(…) Eine der Überschriften in der Westberliner Zeitung (…) hieß: „Eine Frau verriet den Tunnel“ groß als Balkenüberschrift (…) Das war aber nicht so. Der Westen hat also geglaubt, die Frau Sendler, die da in dem Haus wohnte, wo der Tunnel endete, sei die Verräterin (…) die Westberliner sind also reingefallen (…) und die (Frau Sendler) wurde dann in der Westpresse entsprechend (…) auch gebrandmarkt. Aber letzten Endes war sie es gar nicht, die Frau Sendler.“ (H. Stachowitz im Interview)
Die Bernauergruppe, darunter Joachim Rudolph, bekommt den Wassereinbruch am Tunnel 29 in den Griff. Am 14. September 1962 flüchten hier 29 Menschen, darunter die beiden Frauen, Anita Moeller und die spätere Frau Rudolphs, die beim „Kiefholzstraßentunnel“ noch rechtzeitig der Stasi entwischen konnten.
Nach dem Scheitern des „Kiefholzstraßentunnels“ ist die Stimmung in der Girrmanngruppe massiv geschwächt. Der „Maulwurf“ Siegfried Uhse wird erst nach der Wiedervereinigung erkannt.
„ (…) wir (sind) damals nach der Wende zur Gauck Behörde gegangen und da hatte der Verräter natürlich einen Decknamen, der war ja nicht mit Klarnamen da in den Listen. Und dann konnte man aber den Antrag stellen auf Klarnamenermittlung und dann haben wir rausgekriegt, wer es war, der hieß also Siegfried Uhse, wohnte hier in Berlin (…).“ (H.Stachowitz im Interview)
Anschließend zeigen mehrere Menschen Siegfried Uhse wegen Freiheitsberaubung an, aber seine Taten sind inzwischen verjährt.
„(…) inzwischen waren die Verjährungsfristen abgelaufen. (…) Es war nichts mehr zu machen, weil die Sachen verjährt waren. Der hat über 360 Menschen verraten (…) er ist also mit Null rausgekommen. (…) Also wir waren natürlich sauer, stocksauer. (…) Er ist völlig frei davon gekommen.“ (H. Stachowitz im Interview) „und alle anderen auch“ (G. Stachowitz im Interview)
Am 13.August 1962, ein Jahr nach dem Mauerbau, kommt es zu einer Protestaktion in dem ostdeutschen Hoheitsgebiet der S-Bahn: Mehrere Menschen ziehen gleichzeitig die Notbremse und zwingen während der Schweigeminute des Westens die S-Bahnen zum Stillstand. Obwohl die Stasi über Siegfried Uhse von der Aktion Kenntnis hat, kann sie sie nicht verhindern. Seidel zerschießt aus Wut am 14. August ca. 20 Quecksilberdampfhochdrucklampen in der Kiefholzstraße. (vgl. Veigel 2011: 264)
Literaturangaben
Buchquellen
Arnold, Dietmar/Kellerhoff, Sven Felix (2011): „Die Fluchttunnel von Berlin.“ Ullstein Buchverlage, Berlin. S. 81-83.
Sesta, Ellen (2001): „Der Tunnel in die Freiheit. Berlin, Bernauer Straße.“ Econ Ullstein List Verlag, Berlin. S.99-107.
Veigel, Burkhardt (2011): „Wege durch die Mauer - Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West.“ Edition Berliner Unterwelten, Berlin. S. 251-264 und 284-297.
Magisterarbeit
Gieffers, Susanne (1997): Studentische Fluchthilfe 1961-1963/64. Die „Girrmann – Gruppe“. S.66-68 und Anhänge S. 34, 40, 73, 101.
Filme
„Unternehmen Reisebüro“ (Spiegel-Dokumentation, Deutschland/2001)
„Grenzenlose Liebe und plötzlich war die Mauer da“ (ARD/MDR-Dokumentation, Deutschland/2008)
Weitere Quellen:
Akten der BStU: AIM 13337/64 (10522/61) Bd. 1
Text: Nina Rudolph