TF MAPPING

„Über die Filmische Bearbeitung der Tunnel unter der Berliner Mauer“


Über die Berliner Mauer wurde viel geschrieben. Mauerbau, Teilung der Stadt, Trennung von Menschen, Fluchtversuche, geglückte und gescheiterte, sind in unzähligen Zeitschriften, Zeitungen, Büchern und Sammelbändern dokumentiert und verarbeitet worden. Auch heute noch, über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, besteht ein großes Interesse, nicht nur bei Deutschen oder Berlinern, für dieses weltpolitische Thema, das unmittelbar harte Konsequenzen für viele Berliner nach sich zog und auch heute noch, wenn auch oftmals subtil, nachwirkt.
Das Thema der Republikfluchten bietet durch die dem Vorgang inhärenten Momente von Spannung und Dramatik besonders viel Reiz zur Auseinandersetzung, sowohl wissenschaftlicher als auch künstlerischer Art.
In unserem Seminar „Mapping, Flucht und Schlepper- Die Tunnel unter der Berliner Mauer“, das vom Wintersemester 2011/12 bis zum Ende des Sommersemesters am Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldt Universität zu Berlin stattfand, haben die Seminarleiter Falk Blask und Uli Bauer es sich gemeinsam mit den TeilnehmerInnen zum Ziel gesetzt eine möglichst umfangreiche (idealerweise sogar vollständige) Kartografierung der Fluchttunnel unter der Berliner Mauer hindurch zu erstellen. Die Karte ist im Internet für jeden einsehbar und enthält zudem wichtige und interessante Hintergrundinformationen zu historischem, sozialem und politischem Kontext.
Mein besonderes Interesse an der Fluchttunnelthematik gilt der filmischen Dokumentation der Tunnelfluchten, sowie der späteren filmischen Bearbeitung des Phänomens, sei es dokumentarischer oder fiktiver Art.
Soweit ich dies durch meine bisherigen Nachforschungen und Recherchen einschätzen kann, gab es insgesamt drei Tunnelfluchten, die filmisch dokumentiert, bzw. später verfilmt wurden. Bei einer ungefähren Anzahl von etwa 70 angefangenen Fluchttunneln, von denen etwa jeder vierte tatsächlich genutzt werden konnte (1) Dietmar Arnold, Sven Felix Kellerhoff; „Die Fluchttunnel von Berlin“, 2008; Ullstein Verlag, Berlin, S.11 steht die Anzahl der daraus entstandenen Filme aber in keinem Verhältnis. Eigentlich überraschend, dass es überhaupt Leute gab, die trotz der großen körperlichen Anstrengung und des psychischen Drucks einer solchen Situation noch die Kraft fanden, sich um Filmaufnahmen zu kümmern. Das Wohl, die Freiheit und Gesundheit ihrer Freunde und Angehörigen (und natürlich ihrer selbst) standen immerhin auf dem Spiel.
Andererseits birgt ein solches Unternehmen jede Menge dramatische Elemente, die sich in einem Film sehr gut verarbeiten lassen: Kalter Krieg in Berlin; eine geteilte Stadt; von heute auf morgen besiegelte Schicksale durch Bau der Mauer; Kampf der Systeme auf engstem Raum; von einander getrennte Familien, Freunde; junge Männer unterminieren die Grenze unter Lebensgefahr; Flüchtlinge lassen alles zurück, um ihr nacktes Leben in den Westen zu retten; usw.
Denkbar guter Stoff für Geschichten also, und die Menschen haben seit jeher eine Leidenschaft für das Geschichten erzählen und Geschichten hören. Kein Wunder also, dass es auch damals einige Leute gab, die aus verschiedenen Motiven die Entscheidung trafen, ihre Fluchtversuche, im übrigen alle geglückt, auf Film festzuhalten. Und nicht verwunderlich, dass sich auch Jahrzehnte danach noch andere Menschen für dieses Thema interessieren und es nochmals filmisch aufbereiten.
Mein Anliegen ist es nun, diese filmische Bearbeitung der Tunnelfluchten hier aufzuzählen und zu beschreiben.

Im Nachhinein gibt es immer viele Sichtweisen der Beteiligten auf die vergangenen Geschehnisse, dies führt schnell zu Verwirrung bei Menschen wie mir, die versuchen nachzuvollziehen, was damals wirklich geschehen ist. Die Namen der Beteiligten, oftmals gaben sich die Tunnelgräber zum eigenen Schutz Decknamen, variieren stark, zudem die Angaben darüber, wer an den Fluchtunternehmen beteiligt war. Ganz zu schweigen von den Berichten darüber, wie sich die Ereignisse zugetragen haben.
Ich werde deshalb nicht versuchen aus den verschiedenen Schilderungen eine möglichst plausible Wirklichkeit zu rekonstruieren, auch werde ich nicht die in den Filmen dargestellten Sequenzen mit den in anderen Medien erschienenen Berichten oder von Zeitzeugen gemachten Aussagen abgleichen.
Ich möchte einzig und allein festhalten, welche filmischen Arbeiten es zu diesem Thema gibt und wie, weshalb und von wem sie gemacht worden sind.
Dabei werde ich chronologisch vorgehen.

Der erste Tunnel, zu dem es einen Film gibt, zudem die erste filmische Auseinandersetzung mit dem Bestehen der Berliner Mauer überhaupt, ist der „Tunnel 28“, welcher von der Oranienburger Chaussee 13 nach Frohnau in West-Berlin gegraben wurde.
In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1962 gelang 28 Menschen aus Ostberlin die Flucht in den Westen, und zwar durch einen Tunnel, der von Ost nach West gegraben wurde. Dies war eher selten, die meisten Fluchttunnel wurden von West nach Ost gegraben. „Ausgangspunkt war das Haus der Familie Becker. Es lag direkt an der Ostseite der Oranienburger Chaussee und war durch den Bau der Mauer in unmittelbare Grenzlage geraten.“ (2) Dietmar Arnold, Sven Felix Kellerhoff; „Die Fluchttunnel von Berlin“, 2008; Ullstein Verlag, Berlin, S.48 Die Gebrüder Becker und zwei weitere Männer aus dem Familienumfeld gruben sich aus dem Keller des Becker´schen Hauses einen rund 27 Meter langen Tunnel (3) Alle ab hier genannten Fakten, auch im weiteren Verlauf, entnehme ich, sofern nicht anders gekennzeichnet, ebenfalls dem Buch „Die Fluchttunnel von Berlin“s.o. unter der damals noch durch Stacheldraht gesicherten Grenze zwischen DDR und BRD. Sie hatten weniger als einen Monat gebraucht um den nur etwa einen Meter unter der Erdoberfläche verlaufenden Tunnel zu graben, durch den insgesamt 28 Menschen fliehen konnten, im wesentlichen alles enge Bekannt oder Verwandte der Beckers.
Bereits am 25. Januar 1962, also einen Tag nach der geglückten Flucht, erschien die Bild-Zeitung mit der Schlagzeile:“Wieder Massenflucht nach West-Berlin geglückt. 28 Kamen auf einen Schlag!“ Daraufhin gab es eine große Diskussion über die Preisgabe von Informationen in der Presse darüber, unter welchen Umständen welche Flüchtlinge in die BRD gelangen. Teilweise druckten Zeitungen sogar Skizzen des Tunnelverlaufes ab. Diese Informationen waren natürlich auch dem MfS und somit der Stasi zugänglich und gefährdeten somit die Situation weiterer fluchtwilliger Menschen in Ostdeutschland.
In Anlehnung an diese Flucht wurde wenig später der Film „Tunnel 28- Escape from East-Berlin“ vom Regisseur Robert Siodmak für die Produktionsfirma MGM gedreht.
Da es mir in der Kürze der Zeit nicht möglich ist, den Film selbst zu sehen, füge ich an dieser Stelle eine Kritik der Munzinger Datenbank mit den wichtigsten Eckdaten ein.(4) Eintrag "Tunnel 28" in Munzinger Online/Film - Kritiken aus dem film-dienst,
URL: http://www.munzinger.de/document/10000011551
(abgerufen von Verbund öffentlicher Bibliotheken Berlin am 15.8.2012).
Alle Rechte vorbehalten. © Deutsche Zeitung GmbH, Bonn, und Munzinger-Archiv GmbH, Ravensburg


Der Film wurde nicht nur von der Kritik weitestgehend verrissen: „Obgleich drei Hollywood-Autoren und der deutsch-amerikanische Regisseur Robert Siodmak, ein gebürtiger Berliner, den eingemauerten Deutschen viel Sympathie zuwenden, erweist sich das Lichtspiel als unkünstlerisch und nicht frei von Peinlichkeiten.“ (5) Zitat aus dem „Spiegel“ vom 31. Oktober 1962, ebenfalls entnommen aus „Die Fluchttunnel von Berlin“ s.o.
Auch die Uraufführung des Spielfilms führte auf Bundesdeutscher Ebene zu Spannungen. Der damalige West-Berliner Senator für Inneres, Heinrich Albertz, welcher sich gegen die Sendung des Fernsehfilms stellte und sich weigerte an dessen Uraufführung am 22.Oktober 1962 teilzunehmen, wurde dafür vom Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Ernst Lemmer heftig kritisiert. Dieser hingegen nahm an der Uraufführung in der West-Berliner Kongresshalle teil und und umarmte nach der Vorführung den Hollywoodproduzenten Walter Wood mit den Worten:“ Ich danke Ihnen im Namen des deutschen Volkes für diese Aussage gegen die Unmenschlichkeit.“
Zum Streit über die Uraufführung dieses Film kam es vor dem Hintergrund der einen Monat zuvor geglückten Flucht von 29 Menschen aus Ost-Berlin, die ebenfalls durch einen Tunnel erfolgte. Die Filmrechte an der Dokumentation vom Bau und der Flucht durch den Tunnel, der von der Bernauer Straße im Westteil der Stadt bis in die Schönholzer Straße 7 führte, wurde von den beiden Initiatoren des Tunnels, den italienischen Studenten Luigi Spina und Domenico Sesta, für einen großen Geldbetrag an die NBC verkauft. Später kamen noch der deutsche Kommilitone der beiden, Wolf Schröter hinzu, noch später wurde auch Hasso Herschel, auf eigenes Drängen hin, in den Vertrag mit aufgenommen. Die Tunnelgräber bekamen 15.000 Mark und die Fernsehrechte für Deutschland und Italien, sowie die Rechte über die stehenden Bilder, die später exklusiv an den „Stern“ und die „Paris Match“ verkauft wurden. Die anderen Tunnelgräber, es waren im Laufe der Zeit an die 40 Mann (6) Ellen Sesta, „Der Tunnel in die Freiheit“, Ullstein Verlag Berlin, 2.Auflage, 2001 wurden an diesem Geschäft nicht beteiligt. Es gibt verschiedene Aussagen, darüber, ob und inwiefern die anderen Tunnelgräber überhaupt über die Filmaufnahmen Bescheid wussten.Die beiden Italiener begründeten den Vertrag mit der NBC als notwendige Finanzierungsmaßnahme, um den Tunnel überhaupt zu Ende bauen zu können. Einige andere Tunnelgräber distanzierten sich später offen zu den Geschäften der Italiener und der beiden Deutschen.
Der Tunnel wurde vom Frühsommer 1962 bis zum Tag der Flucht am 14./15.9.1962 gegraben und war etwa 120.140 Meter lang. Er führte vom Kellergewölbe eines Fabrikgebäudes in der Bernauer Straße 78 in den Keller eines Wohnhauses in der Schönholzer Straße 7. (7) http://de.wikipedia.org/wiki/Tunnel_29, Seite aufgerufen am 22.8.2012
Jedenfalls wurde kurz nach der ersten Berichterstattung in der Presse über die geglückte Flucht auch öffentlich bekannt, dass bei dieser Tunnelflucht Geschäfte im großen Stil gemacht wurden.Dies führte zu diplomatischen Verwicklungen, auch auf internationaler Ebene. Die Fragestellung wurde aufgeworfen, ob es denn von westlicher Seite unterstützenswert sei, wenn sogenannte Menschenschmuggler nicht im Geiste der Freiheit, sondern aus Gier nach Geld Menschenleben und diplomatische Beziehungen zwischen Ost und West aufs Spiel setzten.
Zudem gab es den problematischen Aspekt, dass durch die Veröffentlichung solchen Filmmaterials der Stasi zugearbeitet würde und sich die Situation für weitere flucht willige DDR BürgerInnen verschlechtere.
Nach einigem Hin und Her auf diplomatischer Ebene zwischen der DDR, der BRD und den USA wurde schließlich die Erstausstrahlung des NBC Dokumentarfilms „The Tunnel“ in den USA vom 31.Oktober 1962 auf den 10.Dezember des selben Jahres verschoben. Zudem wurden die Gesichter der Flüchtlinge und Fluchthelfer, die nicht ausdrücklich in die Filmaufnahmen eingewilligt hatten, durch schwarze Balken unkenntlich gemacht. „Die Fernsehzuschauer in Deutschland bekamen den inzwischen unter anderem mit einem „Emmy“ ausgezeichneten Dokumentarfilm erst im Juni 1963 in der ARD zu sehen. Die Morgenpost lobte: Die einmaligen Bilder der >>mühevollen Fluchtvorbereitungen und schließlich die geglückte Flucht von 29 Menschen sprachen für sich selbst<< und wurden zu einer >>erschütternden Anklage gegen die brutale Schandmauer<<.“ (8) Aus der Berliner Morgenpost vom 12.6.1963, Zitat enthalten in „Die Fluchttunnel von Berlin“
In der Tat ist der Film eine einzigartige Dokumentation des Tunnelbauprojekts. Das erste Bild ist eine Einstellung, die das Haus in der Schönholzerstraße 7, in dem die Flüchtlinge in den Tunnel nach Westen einstiegen, in der Totalen zeigt. Es folgen einige Aufnahmen des Todesstreifens in der näheren Umgebung. Zu hören sind die Klänge eines Filmorchesters, dazu das Voice-Over des NBC-Reporters Piers Anderton, der sogleich in die Situation einführt „That is number 7, Schönholzerstraße. [...] one city block inside communist East-Berlin“. Die wichtigsten Informationen zu Flucht und Flüchtlingen werden genannt, dann schwenkzoomt die Kamera von der Straßenansicht auf Piers Anderton, der in einem Haus auf der gegenüberliegenden Westseite am Fenster steht, von welchem aus man direkt auf das Haus in der Schönholzerstraße blicken kann. Dort wurde von der NBC extra eine Wohnung angemietet. Durch die gute Sicht hinüber in den Ostsektor wurde aus dieser Wohnung nicht nur die Filmaufnahmen getätigt, sondern am Tage der Flucht auch ständig überprüft, ob alles nach Plan läuft. Als Anderton nah im Bild ist, stellt er sich sogleich vor: „I am Piers Anderton, NBC-News, Berlin. And this is the story of those people and that tunnel.“ Nach einer Kamerafahrt durch den fertig gestellten Tunnel werden die drei Protagonisten, Luigi Spina, Domenico Sesta und Wolf Schröter eingeführt. Sie werden dabei gezeigt, wie sie entlang der Mauer spazieren, um nach einem Weg auf die andere Seite zu suchen.
Luigi Spina wird als „leader“ der Gruppe bezeichnet, Sesta als sein „follower“. Im weiteren Verlauf werden chronologische die Planung des Tunnels, der Baubeginn, die Bauarbeiten im Tunnel und schließlich die Probleme mit dem Wassereinbruch nachgezeichnet. Bei fast allen Szenen, die sich außerhalb des Tunnels abspielen, ist klar zu sehen, dass diese nachgespielt werden, was zu Beginn des Films auch kurz erwähnt wird. Bei den Tunnelarbeiten sind stets nur die beiden Italiener und Schröter, später auch Hasso Herschel und „der Kleine“ im Bild. An einigen Stellen taucht auch ein weiterer Italiener namens Orlando auf, der stets eine Sonnenbrille trägt.
Natürlich wird auch erklärt, was die Motivation der Studenten ausmachte: Peter, ein Freund der beiden Italiener, lebt mit seiner jungen Frau und dem gemeinsamen kleinen Kind am Rande von Berlin in Wilhelmshagen, in der DDR. Ihm und seiner Familie soll zur Flucht verholfen werden. Auch die Szenen, in der Peter und seine Familie zu sehen sind, wurden extra nachgestellt.
Des weiteren gibt es nachgestellte Szenen, in denen Ellen Sesta bei ihrer Kuriertätigkeit zu sehen ist. Sie benachrichtigt die Flüchtlinge im Osten am Tage der Flucht.
Im Film werden immer wieder Bilder aus der näheren Umgebung der Bernauer Straße gezeigt, die den Alltag der Menschen auf beiden Seiten der Mauer zeigen.Gerade diese Aufnahmen machen den Film für mich sehenswert, da sie erlauben, sich in das damalige Lebensgefühl hinein zu versetzen. Nicht anders zu erwarten, werden diese Szenen ständig mit pathetischen Kommentaren aus der USA-West-Perspektive unterlegt, die das Regime auf der Ostseite für seine brutale Grenzpolitik rügt, das armselige Leben in der DDR kommentiert „...life only as a function...“, und die große Freiheit auf der Westseite preist.
Aus dem Tunnel selbst gibt es einige sehr besondere Momente, nämlich die, in denen der O-Ton zu hören ist. Anderton erklärt, dass aufgrund der beengten Verhältnisse im Tunnel immer nur ein Kameramann drehen konnte, extra Tonaufnahmen wären in dieser Situation nicht möglich gewesen. Einmal anscheinend aber doch: Im Tunnel ist zu hören, wie oben eine Straßenbahn über den Tunnel hinweg rollt, die Schritte von Passanten und Autos. Auch die elektrische Pumpe, die nach dem Wassereinbruch in Betrieb genommen wurde, ist in einer Szene zu hören. Dies sind die wenigen Momente, in denen das beklemmende Gefühl der Eingeschlossenheit unter der Erde an die Zuschauer transportiert wird. Ansonsten ist der Film fast komplett mit dem typischen Sound eines 60er-jahre-Filmorchesters unterlegt, dessen meist melancholisches Flötenmotiv nach einer Weile ganz schön auf die Nerven gehen kann, zudem entfremdet es die im Film gezeigte Situation und macht das Begreifen der dort zu sehenden Handlung als etwas Reales schwer zugänglich.Der Zuschauer ist den begleiteten Kommentaren von Anderton völlig ausgeliefert.
Ein weiterer interessanter Moment: Sesta wird beim Überschreiten der Grenze am Checkpoint Charlie gezeigt, danach gibt es einige Aufnahmen von einer S-Bahn Fahrt durch Ost-Berlin zu sehen, die Sesta laut Kommentar heimlich mit versteckter Kamera gemacht hat.
Gegen Ende des Film dann die berühmten Bilder der geglückten Flucht. Die Flüchtlinge steigen noch ganz benommen aus dem Tunnelschacht, klettern die Leiter empor, umarmen sich, bekommen ihre Kinder gereicht, waschen sich den Schlamm von Kleidung und Körpern. Besonders dramatisch ist die Szene, in der der Tunnelgräber Claus Stürmer zum ersten Mal sein Baby in den Armen hält, das seine Frau zuvor im DDR-Gefängnis zur Welt gebracht hat. Diese Bilder sollen angeblich sogar John F. Kennedy zu Tränen gerührt haben, als er sie sah, so Herschel in der Dokumentation von Marcus Vetter. (Dazu später mehr). Schließlich gibt es noch Szenen vom Bankett, das die NBC selbst organisiert hatte, um Bilder für eine Abschlussfeier der Tunnelflucht zu drehen.Vor der Wirtschaft steht Anderton, um die Dokumentation, die letztlich durch seine ständige Präsenz zur Reportage wird, abzumoderieren. Es sei Schade, dass der Wassereinbruch das Schicksal des Tunnels besiegelt habe, sonst hätten noch weitere dutzend Menschen durch ihn fliehen können. Aber es werde andere junge Männer geben, und andere Tunnel...
Dann noch ein seltener O-Ton-Moment: Peter spielt auf der Gitarre und singt eine Dankesserenade auf seine beiden Freunde, die ihm zur Flucht verholfen haben, darüber werden Bilder aus dem Entstehungsprozess des Tunnels und schließlich der Flucht geblendet. Im Abspann ist wieder die lange Fahrt durch den Tunnel zu sehen und die beiden Brüder Peter und Klaus Dehmel werden gewürdigt, weil sie sich auf das riskante Unternehmen, im Tunnel zu drehen, eingelassen haben.
Der Film wirkt, sieht man ihn dieser Tage, nicht besonders aufregend. Die meiste Zeit sind Bilder aus dem Tunnel zu sehen, die zeigen, wie die jungen Männer dort Schuften, mit ihrer Schaufel zwischen den Beinen, auf dem Rücken liegend, in Zentimeterarbeit das Erdreich abtragend.
Mir fiel es schwer, die tatsächliche Tragweite der Situation nachzuempfinden, was sicher zum großen Teil an den sehr dick aufgetragenen, typisch amerikanischen (im Sinne von pseudo-freiheitlicher Propaganda) Kommentaren Piers Andertons liegt, die in Kombination mit der Musik von der eigentlichen Situation wegführen. Ein weiterer Kritikpunkt ist der Umgang mit der geschäftlichen Situation: an keiner Stelle wird erwähnt, dass die Italiener den Vertrag mit der NBC aus finanziellen Gründen, gemein-oder eigennützigen- sei mal dahingestellt, eingegangen sind. Auch die spätere Spaltung der Gruppe, spürbar bereits beim Bankett, wird mit anderen Gründen erklärt, zum Beispiel damit, dass einige Tunnelgräber ihre Familien nicht mehr holen konnten und deshalb enttäuscht seien. Was also von dieser ganzen Filmgeschichte zu halten ist, ist schwer einzuschätzen. Richtig übel nehmen kann man es den jungen Männern letztlich nicht, dass sie aus einer eingangs von Idealen bestimmten Aktion schließlich noch ein lukratives Geschäft machten, finde ich.

Viele der NBC-Aufnahmen aus dem Jahre 1962 waren knapp 40 Jahre später wieder im Fernsehen zu sehen. Der Regisseur Marcus Vetter hat 1999 einen Dokumentarfilm geschaffen, in dem noch einmal die Geschichte des Tunnel 29 nacherzählt wird. Der Film ist eine Collage aus historischen Ausschnitten der damaligen Wochenschauen, Aufnahmen aus dem eben besprochenen Film der NBC, eigens für diesen Film nachgestellten Szenen, Interviewszenen mit den Beteiligten Tunnelgräbern und Flüchtlingen und O-Tönen von Politikern wie Regine Hildebrand oder Egon Bahr, zudem kommen auch anderweitig indirekt an dem Tunnelgeschehen beteiligte, etwa die Leute von der NBC, zu Wort.
Mit der nötigen zeitlichen Distanz zum Geschehen wird die ganze Geschichte noch einmal neu aufgerollt: Wie kamen die Italiener auf die Idee, diesen Tunnel zu graben, wie gestaltete sich die tatsächliche Bauarbeit, welche Probleme traten auf, wie wurden sie gelöst? Diese Fragen werden von den Beteiligten beantwortet. Im Unterschied zum Film der NBC kommen sie hier selbst zu Wort und erzählen ihre Version der Geschichte. Zum Beispiel erfährt man (wie auch im Buch von Ellen Sesta, die die ganze Tunnelgeschichte ebenfalls noch einmal nacherzählt hat), wie die Italiener überhaupt auf die Idee mit der Finanzierung durch Filmaufnahmen kamen. Zufällig bemerkten sie, wie in der Stadt Dreharbeiten zu einem fiktiven Film über eine Tunnelflucht stattfanden. So kamen sie selbst auf den Gedanken den Produzenten anzubieten ihre „echte“ Tunnelgeschichte zu dokumentieren. Mit Erfolg. Übrigens kann es sich bei diesen Dreharbeiten nur um die Arbeiten zum Film „Tunnel 28- Escape from East-Berlin“ gehandelt haben, da der Film im Jahre 1962 in Berlin gedreht wurde.
Der Film Vetters, der ebenfalls den Titel „Der Tunnel - (mit dem Zusatz) die wahre Geschichte“ trägt, beginnt mit einigen historischen Aufnahmen des geteilten Berlin und Aufnahmen der Tunnelgräber bei der Arbeit, um kurz in die Geschichte einzuführen, kommt dann aber gleich zurück in die Gegenwart. Luigi Spina liegt im Krankenhaus und wird von seinem Freund Peter, dem er damals die Flucht ermöglichte, besucht. Gemeinsam erinnern sie sich daran, wie damals alles begann. Die persönlichen Geschichten der Beteiligten, insbesondere auch die von Hasso Herschel und seiner Schwester und die von Ulli Pfeiffer werden erzählt, vorrangig von den Protagonisten selbst. Ein Sprecherkommentar führt durch die Sequenzen. Die vielen Einspieler aus den damaligen Wochenschauen oder anderen Nachrichtensendungen gepaart mit den erläuternden Kommentaren einiger Menschen aus der Politik geben eine gute Vorstellung von der damaligen politischen und alltäglichen Situation im geteilten Berlin. Durch die vielen O-Töne der am Tunnel Beteiligten bekommt der Zuschauer einen tiefen Einblick in die menschlich-emotionale Tiefe des Unternehmens. Zudem sind die Hintergrundgeschichten der Tunnelleute häufig sehr bewegend und dramatisch, wie die des Claus Stürmer, der kurz nach Mauerbau durch den Stacheldrahtgrenzstreifen flieht. Seine Frau schafft es mit ihrem kleinen Kind nicht mehr hinüber, kommt für 7 Monate ins Gefängnis, wo sie ein zweites Kind zur Welt bringt, was Stürmer zum ersten mal festhalten kann, als es ihm am Tag der geglückten Flucht aus dem Tunnel gereicht wird. Es wird auch angesprochen, dass die anderen Tunnelgräber Stürmer von seinem Dazustoßen zu der Gruppe für eine Stasi-Spitzel hielten. Erst als sie seine Reaktion auf das Wiedersehen mit seiner Familie sahen, wussten die anderen, dass er genau das gleiche Ziel wie sie gehabt hatte.
In den zwischenmenschlichen Geschichten, die sich rund um den Tunnelbau herum abgespielt haben, liegt die eigentliche Dramatik des Films. Die Biografien Herschels und Pfeiffers wären an sich schon einen eigenen Film wert. Scheinbar nebensächliche Geschichten rücken in den Vordergrund, wie die der zerbrochenen Liebe zwischen Peters Frau Evelyne, die sich gleich nach der Ankunft in West-Berlin in „den Kleinen“ verliebt und für ihn ihren Mann Peter, mit dem sie eine gemeinsame Tochter hat, verlässt.
Es findet in dem Film auch eine gewisse Auseinandersetzung mit dem heiklen Thema NBC und Geldgeschäfte statt. Abgesehen von den beiden Italienern, die weiterhin behaupten, das Geld sei nur zur Finanzierung des Tunnels genommen worden, kommen hier auch kritische Stimmen zu Wort, jedenfalls eine, die ihren Unmut darüber äußert, dass die anderen am Tunnel Beteiligten über das Geschäft mit der NBC nicht aufgeklärt, und vor allem nicht beteiligt worden sind.
An den Stellen, wo die Protagonisten von Ereignissen erzählen, die nicht von der NBC gefilmt worden sind, wie beispielsweise die Suche nach einem geeigneten Ausstiegsort auf Ost-Berliner Seite, wurden entsprechende Szenen extra nachgestellt. Wie ein roter Faden ziehen sich immer wieder Einstellungen durch den Film, in denen Peter in sein Tagebuch schreibt, wo er seine Unmut über das lange Warten auf die Freiheit im Westen schildert.
Am Ende des Films sind die Fluchthelfer Sesta, Pfeiffer und Herschel dabei zu sehen, wie sie in einem Oldtimer sitzend, sich auf dem Landgrundstück von Herschel befindend, die alten NBC Aufnahmen anschauen.
Im Abspann scheint die erleuchtete Hausnummer der Schönholzer Straße 7, dazu sind O-Töne von Honecker „Die Mauer bleibt noch 100 Jahre bestehen...“ oder „Berlin wird leben, und die Mauer wird fallen.“ von Willy Brandt zu hören.
Marcus Vetter wurde für diesen Dokumentarfilm, der für den SWR produzierte wurde, mit dem Grimme Preis ausgezeichnet. Ein durchaus sehenswerter Film, wie ich finde.

In den Jahren um die Jahrtausendwende war das Tunnelthema in der Medienlandschaft offenbar sehr beliebt. Im Jahre 2001 sendete Sat.1 den eigens produzierten Fernsehfilm-Zweiteiler mit dem innovativen Titel „Der Tunnel“, der sich ebenfalls auf die Ereignisse in und um den Tunnel 29 bezog. Eine Nichte Herschels, die als Kleinkind mit seiner Schwester durch den Tunnel in den Westteil Berlins flüchtete, schrieb das Drehbuch für diesen Film, von ihrer ursprünglichen Fassung blieb allerdings nicht viel übrig.
Der in der Fernsehfassung 188 Minuten lange Film war in Deutschland erstmals am 21.1 2001 zu sehen. In Anlehnung an die Biografie Hasso Herschels wird die Geschichte des DDR – Schwimmmeisters Harry Melchior erzählt, der mit einem gefälschtem Pass nach West-Berlin flieht. Seiner Schwester Lotte hat er versprochen, sie gemeinsam mit ihrem Mann und der kleinen Tochter, „rüberzuholen“. Gemeinsam mit seinem Freund Matthis Hiller, der zuvor durch die Kanalisation in den Westen kam, und dem Italiener Vittorio „Vic“ Costanza und Fred von Clausnitz, die auch schon Harrys Fluchthelfer waren, schuftet er von nun als Tunnelgräber, da eine Flucht durch einen Tunnel die einzige Möglichkeit scheint, den täglich dichter werdenden Eisernen Vorhang in Berlin zu überwinden, bzw. zu untergraben. Nach einiger Zeit stößt die junge Frau Fritzi dazu, die ebenfalls ihren Verlobten zu sich holen will. Anfangs mißtraut die Gruppe ihr, doch nachdem sie den aufgrund eines oberhalb des Tunnels fahrenden Panzers verschütteten Harry rettet, wird sie von der Gruppe vollends akzeptiert. Im laufe des Films kommen sich Harry und Fritzi zusehends näher, obwohl Fritzi an der Beziehung zu ihrem Verlobten Heiner, der am Bau der Mauer mitarbeiten muss, festhält. Als Heiner schließlich versucht, die Mauer auf eigene Faust zu überwinden, wird er von den DDR-Grenzsoldaten in den Rücken geschossen und verblutet qualvoll auf dem Grenzstreifen, während Fritzi auf der anderen Seite der Mauer alles mitanhören muss. Diese Szene spielt auf die Erschießung Peter Fechtners an, der unter ähnlichen Umständen an der Berliner Mauer ums Leben kam. Auch der berühmte Sprung eines DDR-Grenzsoldaten über den Stacheldraht wurde im Film nachgestellt.
Ebenso wurde der Wassereinbruch in den realen Tunnel 29 in den Film mit aufgenommen. Auch der Verkauf der Filmrechte über den Tunnelbau an die NBC wird thematisiert. Allerdings, wie auch die anderen Bezüge zur Realität, in einer stark abgeänderten Version.
Der italienisch-amerikanische Fluchthelfer Vittorio, der auch den Filmdeal ausgehandelt hat, wird nach einer Kuriertätigkeit in Ost-Berlin am Checkpoint Charlie von DDR-Soldaten festgehalten und vom bereits mehrmals zuvor aufgetretenem Oberst Kruger, einem Stasi-Offizier, in den Folterknast gesteckt. Vittorio bleibt jedoch hart und gesteht nichts, so dass er am Weihnachtsabend 1961 wieder freigelassen wird.
Der Tunnelbau geht nun, nach Aufnahme weiterer neuer Arbeitskräft, gut voran. Dafür kommen jedoch andere Probleme auf der anderen Seite der Mauer zu tragen:
Die Verlobte Hillers, die schwangere Carola, wurde bei ihrem gemeinsamen Fluchtversuch in der Kanalisation festgenommen. Nachdem sie aus dem Gefängnis freikommt, wird sie von der Stasi als inoffizielle Mitarbeiterin angeworben. Zwischenzeitlich hat sie sich mit Harrys Schwester Lotte angefreundet. Zerissen zwischen der Angst um ihr Baby (sie wird von der Stasi erpresst) und dem Drang zu ihrem Verlobten in den Westen zu fliehen, entscheidet sie sich im letzten Moment dafür, die Stasi auf eine falsche Fährte zu führen, so dass ihr Baby mit Lotte und ihrem Mann durch den Tunnel in den Westen gebracht wird.
Am Tage der Flucht werden schließlich die Flüchtlinge in einem Café von der Kurierin Fritzi benachrichtigt, dass es losgehen kann. In einem actiongeladenen Show-Down, unter andauernden Maschienengewehr-Salven rennen die Verwandten und Freunde der Tunnelgräber zum Tunnel und kommen schließlich heil auf der Westseite an. Zuvor liefert sich der als DDR-Soldat verkleidete Harry noch eine Schießerei mit anderen Grenzsoldaten und lässt schließlich auch Oberst Kruger, den Stasi Mann, der auch Carola erpresst hat, im Ostteil des Tunnels zurück. Nun haben alle ihre Freiheit, außer Carola, die sitzt noch gut 10 Jahre im DDR-Gefängnis...
Am Schluss steht ein Zitat an die „echten“ NBC-Aufnahmen: Die aus dem Tunnel kletternden Flüchtlinge und ihre Helfer werden in grobkörniger pseudo Super 8 Optik im Freudentaumel gezeigt. Anschließend wird noch Text eingeblendet, der beschreibt, was „heute“ aus den erdachten Protagonisten geworden ist.
„"Der Tunnel" ist eine aufwendige Produktion der teamWorx Television & Film GmbH und kam als Zweiteiler ins deutsche Fernsehen. Das Budget betrug knappe 6 Mio. Euro, ein Teil davon kam aus dem Filmförderungsfond. Mehr als 7 Mio. Menschen sahen damals den Film auf SAT.1 und aufgrund des Erfolges wurde der Film später in 28 weitere Länder exportiert.„ (9) http://www.moviereporter.de/filme/der-tunnel, aufgerufen am 21.08.2012
Der Film bekam mehrere Auszeichnungen. Roland Suso Richter und Heino Frech, der den Harry spielt, gewannen 2001 den bayrischen Fernsehpreis. 2002 wurde Heino Frech zudem mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. 2001 wurde die Produktion mit dem Deutschen Fernsehpreis für die Kategorie Bester Fernsehfilm/Mehrteiler ausgezeichnet und im Jahre 2002 bei der Jupiterverleihung zum besten Fernsehfilm des Jahres gewählt.
Auf kommerzieller Ebene war der Film sicher ein Erfolg. Von der künstlerischen Seite ist er jedoch keineswegs ansprechend. Wenig schöne Bilder, oftmals stumpfe Dialoge, dafür aber viele Massen- und Actionszenen entlang der rekonstruierten Mauer. Bisweilen gibt es auch gute, schauspielerisch intensive Momente, die jedoch immer wieder von Plattitüden verdrängt werden. Auch an schalen Witzen mangelt es nicht. Hier nur einige Beispiele: Nachdem Harry mit seinem gefälschten Pass den Checkpoint Charlie passiert hat, wird er von seinem Fluchthelfer Fred von Clausnitz mit den Worten: „Du bist ja´n richtig Hübscher! Lust auf Spaghetti?“ begrüßt, an anderer Stelle sagt der gleiche Fred über seine Mutter: „Ich hol sie da raus, auch wenn ich mich mit dem Teelöffel bis nach Sibirien durchgraben muss!“ Der mental abgestumpfte Sat1 Zuschauer kommt auch sonst voll auf seine Kosten, inklusive obligatorischer Sex-Szene, in der Fritzi, die gerade ihren Heiner an die Mauer verloren hat, mit Harry auf dem Küchentisch den Beischlaf vollzieht.
Dafür, dass der Film den Anspruch erhebt eine „wahre Geschichte“ zu erzählen, entfernt er sich bisweilen sehr stark von den tatsächlich passierten Ereignissen. Besonders die Schlussszene, in der die Flüchtlinge alle gleichzeitig aus dem Café in den Fluchttunnel rennen, wobei sich auch der Wirt noch spontan anschließt, ist in der Realität überhaupt nicht vorstellbar, insbesondere nicht, wenn man sich auch nur ein klein wenig mit den realen Verhältnissen damals auseinander gesetzt hat.
Insgesamt also gute Standard Unterhaltung fürs Fernseh-Abendprogramm mit historischen Bezug, mehr nicht.

Es existiert noch eine weitere filmische Bearbeitung im Zusammenhang mit dem Tunnel 29. Dabei handelt es sich um die Dokumentation „Der Fluchthelfer- Wege in die Freiheit“, die im Jahre 2011 unter der Leitung der Nichte Hasso Herschels, Astrid-Nora Moeller, entstand. Moeller war als Kleinkind mit ihrer Mutter Anita, der Schwester Herschels, durch den Tunnel 29 nach West-Berlin gelangt. Die Dokumentation beschäftigt sich, der spärlichen Information nach, die im Internet dazu auffindbar ist, mit dem Leben Hasso Herschels, insbesondere mit seiner Rolle als Fluchthelfer- auch nach der Fertigstellung des Tunnel 29 war er weiterhin als professioneller und kommerzieller Fluchthelfer tätig und holte fast 1000 Menschen aus Ostdeutschland in die BRD. (10) http://www.servustv.com/cs/Satellite/Article/Der-Fluchthelfer-011259387230642, Seite aufgerufen am 22.08.2012
Ich habe den Film nicht gesehen und meine, dass er für diese Arbeit auch nicht relevant ist, da er den Fokus nicht auf den Tunnel 29, sondern auf das Leben Hasso Herschels setzt. Trotzdem sicherlich ein interessanter Film, für alle die an diesem Thema forschen.

Nun zu einem anderen Fluchttunnel, dem ebenfalls geglücktem „ Tunnel 57“, durch den am 3. und 4. Oktober des Jahres 1964 insgesamt 57 Menschen nach West-Berlin flohen. Auch hier war die Anzahl der Flüchtlinge namensgebend für den Tunnel. Wie auch schon beim Tunnel 29 dachten die Tunnelgräber (hier bereits im Vorfeld) daran, dieses Ereignis medial zu vermarkten:

„>>Die notwendigen Gelder für den Bau und die Ausrüstung des Tunnels, der gegen alle Eventualitäten abgesichert war, wurden durch Beiträge der Hamburger Illustrierten >Stern< finanziert. Auch war im Augenblick der Flucht ein Vertreter des in Stuttgart erscheinenden Organs >Zeitung< und ein Kamerateam des >German Television Service<, einer privaten Firma zur Herstellung von Fernsehfilmen, anwesend. Die Fluchthelfer sollen ein Revers unterschrieben haben, wonach die publizistische Auswertung des Fluchtvorgangs den beteiligten Unternehmen […] vorenthalten blieb.<< Auch aus CDU.nahen Kreisen erhielten die Tunnelbauer finanzielle Unterstützung.“ (11) Arnold, Kellerhoff; Die Fluchttunnel von Berlin, S.141

Die bereits erfahrenen, bisher jedoch weitestgehend erfolglos gebliebenen Tunnelgräber Wolfgang Fuchs, Reinhard Furrer, Christian Zobel, Hubert Hohlbein, Joachim Neumann, Klaus-Michael von Keussler und Peter Schulenburg begannen im April 1964 in einem großen Keller in der Bernauer Straße ein Loch für einen neuen Tunnel auszuheben. An diesem Tunnel, dem bisher tiefsten und längsten bekannten Fluchttunnel unter der Berliner Mauer waren insgesamt über 30 Menschen beteiligt.
Nachdem bereits 57 Menschen die Flucht in nach West-Berlin geglückt war, wurde der Tunnel in der Nacht zum 4. Oktober 1964 von zwei Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR entdeckt. Diese informierten sogleich die Grenztruppen des nächsten Abschnitts. Dort hatte Egon Schulz, ein 21jähriger Soldat Dienst. Er und seine Einheit wurden in den Hof der Strelitzer Straße kommandiert. Die Fluchthelfer befanden sich bereits auf dem Rückzug durch den Tunnel, hatten sich in der Hektik der Situation allerdings im Einstiegssloch verkeilt. Als Christian Zobel, der als Letzter noch im Hof stand, der bewaffneten Grenztruppe ansichtig wurde, gab er einen Schuss aus seiner Pistole ab. Danach sprang auch er in das Einstiegsloch, wodurch die Anderen, die dort festgesteckt hatten, in den Tunnel purzelten. Schnell krochen sie durch den Tunnel hinüber auf die sichere Westseite. Im Hof waren jedoch noch mehrere Schüsse aus einem Maschinengewehr der Grenztruppe abgegeben worden. Der Offizier Egon Schulz wurde sowohl von dem Schuss aus Zobels Waffe, als auch von den MG-Schüssen getroffen. Er starb noch vor Ort.

Auch zu diesem Tunnel gibt es einen Film. Dieser stammt allerdings erst aus dem Jahre 2001. Es ist die Dokumentation von Britta Wauer, die den Titel „Heldentod- Wer erschoss Egon Schulz?“trägt.
Der Film war erstmals 2001 auf Arte zu sehen. Ähnlich wie die Dokumentation Marcus Vetters ist dieser Film eine Collage aus Archivmaterial und zeitgenössischen Interviewausschnitten, zudem sind erstmals die Filmaufnahmen des mittlerweile berühmten deutschen Kameramanns Thomas Mauch zu sehen. Er war damals für die Filmaufnahmen engagiert worden. Die Aufnahmen hatten seitdem im Schlafzimmerschrank des Kameramanns gelegen und sind in der Dokumentation erstmals zu sehen.
In der Dokumentation wird das so explizit nicht gesagt, aber ich gehe davon aus, dass damals von einer kommerziellen Verwertung abgesehen werden musste, weil der Tod des Grenzsoldaten Schulz, der ja bis zur Wende nicht aufgeklärt war, solch eine Vermarktung nicht zuließ.
Der Film beginnt mit historischen Aufnahmen aus der Umgebung der Bernauer Straße, anschließend sind Bilder aus dem Tunnel zu sehen. Flüchtlinge werden auf einer Art Leiter an die Oberfläche gezogen. Darüber der Sprecherkommentar, der kurz und knapp in das erfolgreiche Fluchtunternehmen einführt. Dann wird der Tod von Egon Schulz, das eigentliche Sujet des Films, thematisiert.
O-Töne von Nadine Beyer, einer ehemaligen Schülerin der Egon Schulz Schule (nach seinem Tod wurden etliche Schulen, Kinderkeime und andrer Einrichtung mit seinem Namen versehen), Egon Bahr und Regine Hildebrand äußern sich zu der Instrumentalisierung des Todes von Egon Schulz, der hemmungslos und gegen besseres Wissen, für die Propaganda der DDR herhalten musste. Nach dem Fall der Mauer wurde offiziell bekannt, dass Schulz nicht von Christian Zobel, dessen Schuss Schulz zwar in die Schulter traf, aber nicht tödlich war, sondern von einem seiner Kameraden, der im Dunkeln umher schoss, getötet wurde.
Im folgenden wird der Heldenmythos, der in der DDR nach Schulz´Tod entstand nachgezeichnet. Als kinderlieber, junger und hübscher Mann gab Schulz eine ideale Schablone für den Helden, der von kapitalistischen Banditen ermordet wurde, ab. Auch hier wechseln sich Archivmaterial des DDR-Fernsehens und O-Töne von Zeitzeugen ab.
Der nächste thematische Block ist das Politikum Berliner Mauer, anschließend führt die Erzählung zum Tunnelbauprojekt in der Bernauer Straße. Die treibenden Kräfte des Tunnel 57 werden genannt, anschließend ein O-Ton von Thomas Mauch, der beschreibt, wie er erstmals den Keller der Bernauer Straße 97 betrat. Er sagt, die Filmaufnahmen im Tunnel seien die anstrengendsten, die er je gemacht habe, kein Vergleich zu der Arbeit im Dschungel, wo er Jahre später unter Regie von Werner Herzog mit Klaus Kinski den Film „Aguirre- Der Zorn Gottes“ drehte.
Nachdem der Verlauf des Tunnelbaus und dabei aufkommende Probleme erläutert werden, wird über die vielen Mauertoten, Zivilisten und Grenzsoldaten berichtet. Hierbei werden die Namen und dazugehörige Portraitfotos der Getöteten eingeblendet. Auch auf das Dasein der Grenzsoldaten entlang der Berliner Mauer wird vertieft eingegangen, ihre besondere Rolle an der äußersten Front entlang der kommunistischen Grenze erläutert. Auch hier ist wieder interessantes und originelles Archivmaterial des DDR-Fernsehens eingeflochten, wie das „Lied der Grenzsoldaten“ mit dem pointierten Zeilen:“...es hat sich schon so mancher hier den Schädel eingerannt, in unser Haus geht’s durch die Tür und nicht durch die Wand!“
Im folgenden Verlauf geht es dann verstärkt um die eigentlichen Vorgänge in und um den Tunnel 57 am 3. und 4. Oktober 1962, vor allem die unerwartete Konfrontation zwischen den Fluchthelfern und den DDR-Grenzsoldaten wird nochmals detailliert von allen möglichen Beteiligten wiedergegeben.
Anschließend wird gegenübergestellt, wie sich einerseits die Tunnelgräber, insbesondere Christian Zobel, schwere Vorwürfe über den Tod von Schulz machen. Sie wussten ja lange nicht, Christian Zobel bis zu seinem Tod nicht, dass Schulz von seinem eigenen Kollegen erschossen wurde. Andererseits wird nachgezeichnet, wie auf DDR Seite entgegen besseren Wissens beschlossen wurde, den Tod Schulzes für Propagandazwecke zu nutzen. Mehrere O-Töne verdeutlichen die politische Tragweite der Situation. Auf der großen staatlichen Trauerfeier, auf der niemand geringeres als Erich Honecker selbst die Trauerrede führt, wird Egon Schulz als Märtyrer gefeiert, die trauernde Mutter schamlos belogen.
Der Film stellt durch mehrere O-Töne heraus, dass Egon Schulz, hätte er überlebt, wahrscheinlich selber ein Prozess gemacht worden wäre, da er offenbar nicht seine Schusswaffe gebraucht hatte.
Dies verdeutlicht seine Rolle als Spielball der machtpolitischen Interessen der DDR-Regierung.

Die Situation Christian Zobels wird nochmals beleuchtet. Er outete sich gegenüber dem Magazin „Quick“: „Ich bin der Mann, der den VoPo erschossen hat.“ Zobel ging an dieser Vorstellung zugrunde, ergab sich dem Alkohol und starb 1992.
Die Tunnelgräber stellten sich bald nach der Tat, konnten aber mangels an Beweisen (die DDR weigerte sich, die betreffenden Dokumente an den Westen zu liefern) nur wegen unerlaubten Waffenbesitzes verurteilt werden.
Auch im Westen wurde die Tunnelaktion nun äußerst kritisch beurteilt. Der Senat unterstützte von nun an keine Tunnelbauer mehr.
Erneut wendet sich die Thematik des Films der DDR-Seite zu. Die dortige Ausbildung der Grenzsoldaten wird erneut erhellt, durch psychische Manipulation und Ausbildung an einem Mauersimulationsgelände wären sie auf schnelles Schießen gedrillt worden.
Nach dem Fall der Mauer wird auf Drängen von Egon Schulz´Mutter und einem Betroffenenverband, der sich gegen die Siegerjustiz des Westens engagierte, ein neuer Prozess eingeleitet, der die Umstände von Schulz´Tod, nun mit den vollständigen Unterlagen aus West und Ost, untersucht.
Als der Fall schließlich aufgeklärt war, waren nicht nur Christian Zobel, sondern auch Reinhard Furrer, der später noch als Astronaut mit der „Challenger“ ins All flog, und vor allem Schulz`Mutter bereit gestorben. Die noch lebenden Beteiligten kommen nochmals in O-Tönen zu Wort und äußern sich zu ihren Empfindungen nach dem Abschluss der Ermittlungen. Auch Egon Bahr gibt enthusiastisch sein Senf dazu, letztlich habe es keine Helden gegeben, alle seien Opfer gewesen.
Schließlich wird noch erzählt, wer von den verbliebenen Tunnelbauern heute was macht. Sprecherkommentar aus dem Off über Neumann „ ...heute baut er große Tunnel, wie den unterm Tiergarten in Berlin“.
Fazit: Ein sehr sehenswerter Film, vor allem aufgrund der tiefgreifenden Analyse des in Berlin kulminierenden Ost-West-Konflikts, der sich im direkten Kampf der Systeme-Kommunismus gegen Kapitalismus-auf solch drastische Art und Weise verschärfte. Sehr feinsinnig spürt Wauer den Funktionsweisen der beiden deutschen Systeme, insbesondere des DDR-Regimes nach, und bereitet so mit viel historischem Archivmaterial und pointierten O-Tönen den politischen Hintergrund der Tunnelaktion und der darauf folgenden Ereignisse rund um den Tod Egon Schulz´auf.

Es gibt noch einen weiteren Spielfilm, der sich mit Tunnelfluchten unter der Berliner Mauer befasst. Dieser nimmt, soweit ich weiß, keinen Bezug auf einen der tatsächlich bekannten Tunnel, sondern ist ein rein fiktiver Spielfilm. Das Drama mit dem Titel „Tunnel 21“ entstand 1981 in den US. Auch diesen Film konnte ich leider nicht sehen, hier eine kurze Kritik von der TV-Spielfilm Seite:

„Berlin, 1961. Der junge amerikanische Leutnant Sandy Mueller (Richard Thomas) wird durch den Mauerbau von seiner Geliebten, der Ostberlinerin Ilse (Ute Christensen), getrennt. Um sie aus dem Arbeiter- und Bauernstaat zu erretten, plant Sandy mit Hilfe des Ingenieurs Emerich Weber (Horst Buchholz), einen Tunnel unter der Mauer zu graben. Schon bald stoßen die beiden "Maulwürfe" auf ungeahnte Schwierigkeiten.Leider ist TV-Filmer Michaels die Story kitschig und vorhersehbar geraten. Richard Thomas wurde mit der Fernsehserie "Die Waltons" bekannt.“

Insgesamt lässt sich zusammenfassen, dass keiner der drei Spielfilme wirklich gelungen scheint. Keiner dieser Filme schafft es, der historischen Situation gebührend Rechnung zu tragen, am ehesten vielleicht noch der Film von Richter.
Die Dokumentationen zum Thema sind dagegen sehr gelungene, informative und auch unterhaltsame Stücke.
Auf der Seite 226 von „Die Fluchttunnel von Berlin“ von Arnold und Kellerhoff findet sich übrigens eine Liste aller zu dieser Thematik entstandenen Filme. Diese ist sicher ein guter Anlaufpunkt, für alle, die sich weiter

Text: Vera Mattock