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Der Wollankstraßentunnel


Schon im September 1961 hatte eine Gruppe von Studenten vor allem der Technischen Universität begonnen, einen Tunnel zu planen, der von den im Westen gelegenen S-Bahnbögen in der Nordbahnstraße ausgehend unter der Bahnanlage der S-Bahnstation Wollankstraße hindurch nach Osten gegraben werden soll. Nach zweimonatiger Planung wird Mitte November dann der erste Spatenstich getätigt, die Brüder Boris und Eduard Franzke stoßen Anfang Januar 1962 auf die grabende Gruppe. Boris Franzke erinnert sich:
„Wir sind zufällig auf eine Gruppe Tunnelbauer gestoßen, und die Tunnelbauer dachten, wir sind Vopos oder so, und wir dachten, die Tunnelbauer sind Vopos. Das wäre dann beinahe zum Spektakel geworden. Aber dann haben wir uns doch noch irgendwie verständigen können und haben uns auch gut vertragen.“ (Interview mit Boris Franzke)
Die Arbeiten gehen also mit vergrößerter Mannschaft voran, der anfallende Sand wird in anderen Gewölben gelagert, während die Männer in ca. 2m Tiefe auf Sicherheit und Technik bedacht sind. Mit einer Höhe von fast 1,80m ist der Tunnel nämlich so ungewöhnlich hoch, dass die Decke und Wände mit Brettern abgestützt werden. Doch dieser Aufwand zahlt sich für die Bauer nicht aus, denn es sind 20cm, die über Wohl und Wehe des Projektes entscheiden. Genau diese 20cm werden nämlich nicht verschalt und führen zum Ende der Grabungen, da an dieser Stelle am 27. Januar 1962, ausgelöst durch von der S-Bahn verursachte Erschütterungen, der Boden einsackt und im Bahnsteig ein Loch hinterlässt, das die Ostseite auf die unterirdischen Grabungen aufmerksam macht. Das Projekt muss aufgegeben werden, jedoch bleibt den Tunnelbauern genug Zeit, das verwendete Material abzutransportieren. Die Volkspolizei muss zunächst vom Osten aus die Bahnhofsmauern öffnen, um an den Ort des Tunnels gelangen zu können, der dann zu Propaganda-Zwecken von den DDR-Organen genutzt wird. Auf dem Bahnsteig darüber wird am 1. Februar 1962 eine internationale Pressekonferenz abgehalten, auf der der damalige DDR-Verkehrsminister Erwin Kramer den Tunnel zur „von Westberlin angelegten Agentenschleuse“(Arnold/Kellerhoff (2008), S.46) macht. In ähnlichem Duktus wird in der DDR-Tageszeitung „Neues Deutschland“ einen Tag später die Schlagzeile formuliert: „Westagenturen müssen eingestehen: Stollen – Werk von Banditen“(ebd., S.44). Gleichzeitig wird das MfS mit der Untersuchung der versuchten Tunnelflucht betraut, um die Umstände und die Beteiligten herauszufinden. Die beiden Franzkes werden im Abschlussbericht zu den Ermittlungen dann auch tatsächlich erwähnt, bleiben aber verschont von Festnahme und weiterer strafrechtlicher Verfolgung.

Literaturliste
Arnold/Kellerhoff, 2008

Sonstige Quellen: Interviews mit Boris Franzke vom 2.2.2012 und 14.5.2012

Text: Sophie Salmen